Der Roman Fall Sinestra hat viele Facetten.
Zum Ersten ist es natürlich ein von mir erdachter und verdichteter Roman der in den Fünfzigerjahren in der Schweiz, genau gesagt im Engadin spielt. Zum Zweiten ist er, was die Amerikaner ‘a Sequel’ nennen. Eine durch einen anderen Autoren geschriebene Fortsetzungsgeschichte zu einer Reihe bekannter Romane oder mit bekannten Romanfiguren. Viele grosse Autoren sind mit ‘Sequel’ geehrt, sicher im Genre des Kriminalromans. Philipp Marlow ist in vielen Formen nach dem Tod von Raymond Chandler wiederauferstanden, ebenso auch Sherlock Holmes oder Hercule Poirot. (Im Theater und sicher im Film ist das Fortsetzen respektive Wiedererzählen alter Geschichten jedoch gängiger.)
Friederich Glauser ist einer der grössten Schweizer Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Nach einem ziemlich tragischen und kurzen Leben hinterliess er dem Schweizer Publikum die ikonische Figur vom Wachtmeister Studer. Der Übervater der Landigeneration, dessen Persönlichkeit das Selbstverständnis von zwei, drei Generationen von Schweizern prägte. Wachtmeister Studer vereinigte die guten Eigenschaften wie auch die Schrullen eines ‘richtigen Schweizers’ in sich; er symbolisierte eine Essenz der guten Schweiz, die heute noch warme Heimatgefühle hervorruft.
Mit „Fall Sinestra“ habe ich versucht, eine Fortsetzung der Geschichten Glausers zu schreiben. In einer anderen Zeit, etwa zwanzig Jahre später als bei Glauser, in einer anderen Landschaft und mit einer vom klassischen Ablauf eines Kriminalromans etwas abweichenden Plot. Gemeint ist es vor allem als Huldigung eines grossen Autoren, Friederich Glauser. Es ist allerdings auch zur Befriedigung des leeren Gefühls, das man hat, wenn man gewahr wird, wie wenige Wachtmeister Studer Romane es gibt (5) und wie sehr man nach neuen verlangt. Nicht dass ich mir einbilde, Glauser gleichzukommen, natürlich nicht! Aber zur Freude der Liebhaber habe ich diesen Roman geschrieben, in der Hoffnung, die Sehnsucht nach weiteren Wachtmeister Studer-Romanen wenigstens ein bisschen zu lindern.
Aber danach – als Drittes dann – ist Fall Sinestra nicht allein eine Hommage an Glauser, sondern an die gesamte Schweizer Literatur. Seit Jahrhunderten kommt aus der Schweiz Welt- und nicht nur Heimatliteratur, die in Sprache, Handlung und Gedankengut der Schweizer Eigenart verbunden ist. All diesen Autoren ist dieser Roman als Hommage gewidmet.